Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
im Noir gehen Gesellschaftskritik und literarische Strategien oft eine enge Verbindung ein. Das zeigt sich sehr aktuell in den USA. Dort steht der PrĂ€sidentschaftswahlkampf vor dem Ende: Am 8. November wird gewĂ€hlt. Ein Ereignis, das auch Benjamin Whitmer beschĂ€ftigt. In seinem Buch âNach mir die Nachtâ erzĂ€hlt er von den gesellschaftlich ZurĂŒckgelassenen, den AbgehĂ€ngten und Vergessenen im ruralen San Luis Valley, die versuchen, in der modernen Welt zurechtzukommen. Whitmer ist ĂŒberzeugt, dass Verbrechen eine Gesellschaft definiert, weil es darĂŒber bestimmt, wer in der Gesellschaft dazu gehört und wer nicht. âEs scheint mirâ, so sagt er im Interview, âdass wir viele Menschen einschlieĂen, ohne die wir könnten â manche kandidieren sogar als PrĂ€sident meines Landes.â
Ăber das VerhĂ€ltnis der Postmoderne zur Kriminalliteratur denkt Thomas Wörtche in seinem Beitrag nach. SchlieĂlich gebe es mit Jerome Charyn, Derek Raymond und Jean-Patrick Manchette wichtige Autoren der Kriminalliteratur, âdie man gerne der âPostmoderneâ zurechnetâ. Und so stellt er fest: â(I)n der Tat sind die Möglichkeiten und Standards postmodernen ErzĂ€hlens auch in die Kriminalliteratur eingesickert, wenn auch in vielen verschiedenen Schattierungen und Nuancen und auf sehr verschiedenen Konstruktions- und Bedeutungsebenen.â
Mit den ErzĂ€hlstrategien des hardboiled-Romans und den IdentitĂ€tsfindungen schwarzer Amerikaner setzt sich Walter Mosley in seiner Easy-Rawlins-Reihe auseinander. Damit hat er einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung des Kriminalromans geleistet. Oft ĂŒbersehen wird indes, dass diese Reihe auch eine betrĂ€chtliche Vielfalt schwarzer Frauenfiguren bietet, die von gĂ€ngigen ReprĂ€sentationsmustern abweicht.
Die Entwicklung des Kriminalromans in SĂŒdafrika lĂ€sst sich an zwei BĂŒchern dieser Ausgabe ablesen: Mit James McClures âSong Dogâ erscheint ein Roman des wichtigsten Wegbereiters des Kriminalromans in SĂŒdafrika in neuer Auflage. Zudem setzt Malla Nunn ihre Reihe um Emmanuel Cooper mit âZeit der Finsternisâ fort, die ebenfalls im Land der Apartheid spielt. In Frankreich hat nicht nur der Kriminalroman einen anderen Stellenwert, sondern auch der Kriminalfilm. Und einer der besten Filme nicht nur von Jean-Pierre Melville, sondern auch des französischen Neo Noir ist âVier im roten Kreisâ.
Viel SpaĂ beim Lesen
Ihre
Polar Noir